Eine Nichtbeförderung, die Annullierung von Flügen oder große Verspätungen von mehr als drei Stunden können einen Ausgleichsanspruch gegenüber dem ausführenden Luftfahrtunternehmen ebenso auslösen, wie einen Anspruch auf Erstattung oder anderweitige Beförderung sowie Betreuungsleistungen.
Doch die Airline ist nicht automatisch und nicht in jedem Fall einer Unannehmlichkeit im Flugverkehr zu einer Leistung nach der Fluggastrechteverordnung verpflichtet.
Geht eine Annullierung oder eine mehr als dreistündige Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurück, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, dann ist das ausführende Luftfahrtunternehmen von Ausgleichszahlungen befreit.
„Außergewöhnliche Umstände“ sind im Luftverkehr Vorkommnisse, die der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens nicht innewohnen und aufgrund deren Natur oder Ursache von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind, so der EuGH. Daher werden alle Umstände erfasst, die die Airline nicht kontrollieren kann, welcher Natur und Schwere sie auch sein mögen. Ein Umstand ist jedenfalls außergewöhnlich, wenn sich dieser von Ereignissen unterscheidet, mit denen typischerweise bei der Durchführung eines einzelnen Fluges gerechnet werden muss.
Zum Begriff „außergewöhnliche Umstände“ gibt es umfangreiche kasuistische Rechtsprechung: So sind schlechte Wetterbedingungen meist außergewöhnliche Umstände, jedenfalls immer dann, wenn der Luftraum über dem Start- und Zielflughafen gesperrt ist oder der Flughafen an sich gesperrt ist. Aber auch, wenn das Flugverkehrsmanagement Restriktionen für einen Flughafen, Luftraum oder ein einzelnes Flugzeug in Folge der widrigen Wetterbedingungen erlässt, liegen außergewöhnliche Umstände vor. Die Ursache für die außergewöhnlichen Umstände können zB Gewitter, starker Nebel, gefährliche Winde oder Schneefall sein. Ein Blitzschlag am Flugzeug ist jedenfalls ein außergewöhnlicher Umstand. Gleiches gilt für einen Vogelschlag.
Flugsicherungsprobleme, wie etwa der vorübergehende Ausfall einer Radaranlage oder Unfälle am Flughafen, sind jedenfalls ein außergewöhnlicher Umstand.
Ebenso stellt der Tod oder die Erkrankung eines Fluggastes einen außergewöhnlichen Umstand dar.
Zu wilden Streiks, also Streiks, die unerlaubt sind, war die Meinung bisher so, dass derartige Umstände von den Fluglinien nicht beherrscht werden können und daher als außergewöhnlich gelten. Die neueste Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes differenziert diese Sichtweise dahingehend, als ein wilder Streik zwar ganz grundsätzlich als ein von der Fluglinie nicht beherrschbares Ereignis angesehen wird, bei jedem wilden Streik allerdings die konkreten Begleitumstände zu analysieren sind. Kündigen sich wilde Streiks aufgrund von welchen Umständen auch immer vorher an, so gilt dieser unter bestimmten weiteren Bedingungen als nicht unbeherrschbar und scheidet damit als außergewöhnlicher Umstand aus. Eine klare und endgültige Klärung zu diesem Thema hat allerdings die EuGH-Entscheidung nicht gebracht, da nunmehr erst wieder in allfälligen Gerichtsverfahren die konkreten Umstände zu ermitteln sind.
Oft sind für die Luftfahrtunternehmen gar keine zumutbaren Maßnahmen denkbar, um derart außergewöhnliche Umstände zu verhindern. Bei der Prüfung, ob irgendwelche Maßnahmen zumutbar sind, ist auf den konkreten Einzelfall abzustellen und auf die personellen, materiellen und finanziellen Mittel Rücksicht zu nehmen. Die Airline hat jedoch keine nicht tragbaren Opfer zu bringen, um die „außergewöhnlichen Umstände“ zu vermeiden. So ist einem Luftfahrtunternehmen zB außerhalb dessen Heimatbasis das Vorhalten eines Ersatzflugzeuges und oder einer Ersatzcrew ebenso wenig zumutbar, wie das Aufhalten von Anschlussflügen.
Ausgleichszahlungen nach der Fluggastrechteverordnung stehen somit nicht schon automatisch und nicht in jedem Fall einer Unannehmlichkeit im Flugverkehr zu, sondern nur, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen diese auch tatsächlich zu verantworten hat, dann jedoch neben anderen Leistungen der Fluggastrechteverordnung.
Gerald Gries